Ich habe häufig Diskussionen über zum Thema, warum testen wir in der Automobilindustrie mehr als die Luftfahrtindustrie? Die Argumentation baut sich etwa so auf. Das macht doch keinen Sinn. Ein Flugzeug ist viel komplexer als ein Fahrzeug.
Um die Fragestellung zu verstehen, müssen die Rahmenbedingungen differenziert werden. Es gibt einen großen Unterschied zwischen PKW, LKW und Bus. Bei Bussen und LKW sind die Nutzungen zumindest auf den öffentlichen Straßen relativ eingeschränkt. Wo ein LKW deutlich anders und wenig überschaubar genutzt wird, ist z.B. im auf off-Road und in Baustellen Einsatz.
Beginnen wir aber mit der Betrachtung Passagierflugzeug gegen PKW. Damit ist eigentlich dann die Frage geklärt. Warum werden Pkw intensiver getestet, als dies bei Verkehrsflugzeugen der Fall ist? Das System Flugzeug ist komplexer? Diese Aussage mag früher einmal gegolten haben. Inzwischen entwickelt es sich das Testing des PKW in Verbindung mit Real Drive Emissions und dem autonomen Fahren zu einem viel komplexeren System, als dies beim Flugzeug der Fall ist.
Das Problem ist aber nicht die Komplexität des Systems Fahrzeug bzw. des Systems Flugzeug. Das Problem, was die Test-Anforderungen definiert, ist das System Umgebung des Fahrzeugs beziehungsweise Fahrzeug in der Umgebung. Hier steigert sich die Komplexität, die aus der Nutzung resultiert. Ein Passagierflugzeug wird nach strickten Vorgaben gestartet, geflogen und gelandet. Jedes Manöver ist in seiner Ausmass und seiner Abfolge begrenzt. Weiterhin ist die Wartung des Flugzeuges klar definiert und zwingend einzuhalten, da ansonsten die Zulassung entzogen wird.
Dem gegenüber steht der Pkw. Die fachlichen Anforderungen an das Führen eines PKWs sind selbst in Deutschland minimal. Auch gibt es keine Begrenzungen, auf welche Manöver zulässig und welche unzulässig sind. Damit ist die Komplexität der Umgebung für die Nutzung eines Pkw deutlich höher als für die Nutzung eines Passagierflugzeugs. Wenn wir uns als Vergleichsmaßstab die Gruppe der Kampfflugzeuge anschauen, ist festzustellen, dass Kampfflugzeuge sogar deutlich mehr getestet werden, als dies bei PKWs üblich ist. Die Komplexität der Umgebung Kampfflugzeug ist eben noch einmal deutlich höher. Für das Kampfflugzeug gibt es eben praktisch keine Begrenzungen der Manöver. Im Ernstfall muss alles möglich sein, um das Ziel schnell anvisieren zu können oder aus der Feuerlinie zu kommen. Folglich ist das Testing auch wesentlich komplexer.
Das Testing von Zivilflugzeugen wird dadurch begrenzt, dass die Nutzung soweit eingeschränkt, dass das Testing einfach nur noch eine komplizierte Aufgabenstellung ist. Dies ist für Kampfflugzeuge und Pkw eben nicht möglich. Dort ist das Testing eine komplexe Aufgabenstellung. Damit haben es mit zwei Begriffen zu tun, die oft gleichwertig verwendet werden. Kompliziert ist aber nicht das Gleiche wie komplex.
Komplizierte Sachverhalte lassen sich durch Wissen lösen. Um ein kompliziertes System zu verstehen, kann man systematisch testen. Eine Methode dieses systematischen Testens ist zum Beispiel das Modellzentrierte Testen (.mzt). Bei komplexen Problemstellungen ist es aber gerade nicht möglich die Aufgabenstellung durch Wissen zu lösen. Die Aufgabenstellung ist eher durch ein systematisch-methodische Stichversuche zu lösen und kann, egal wie anspruchsvoll die Überlegungen zur Lösung der Aufgabe sind, niemals mit abschließende Gewissheit zu dem Ergebnis kommen, dass alles getestet wurde.
Gelingt es auch, für Anwendungen der Automobilindustrie die Nutzung auf einfachen standardisierte Manöver beschränken, ist die Test Aufgabe damit auch nur noch kompliziert. Komplizierte Sachverhalte können aber heute in der Regel durch Simulationen gelöst werden. D.h. eine Forderungen an eine Teststrategie ist immer, Teilaufgaben möglichst in komplizierte Umfänge zu überführen. Diese Test-Teilaufgaben können dann sehr sehr kostengünstig als Simulationen gelöst werden.
Ist aber der überwiegende Teil des Testens in Simulation überführt, bleibt noch das Kernthema des Testens in der Fahrzeugerprobung und hier ganz besonders in der Gesamtfahrzeugerprobung: Die Identifikation von Bereichen, die sich nicht in komplizierte Aufgabenstellungen überführen lassen. Damit bleiben gerade für das Gesamtfahrzeugtesten nur Teststrategien, die der Komplexität gerecht werden. In diesem Kernkompetenzbereich geht es um systematisches Probieren und Erfassen von Risiken, die eben nicht mit Wissen und Erfahrung gelöst werden können. Das wird in den meisten Teststrategien mangels des Verständnisses des Unterschieds von kompliziert und komplex einfach nicht vorgehalten. Folglich ist auch klar, warum viele Menschen nicht verstehen, warum ein PKW intensiver zu testen ist, wie ein Passagierflugzeug.
In der Luftfahrtindustrie handelt es sich eben oft um komplizierte Testaufgaben, im Automobilbau haben wir zahlreiche komplexe Testaufgaben.