Warum diese Beitragsreihe?
Das Verständnis von Fahrzeugerprobung und Fahrzeugdauererprobung ist leider immer noch – oder vielleicht wieder mehr – ein Verständnis von wir setzen jemanden in ein Auto und lassen ihn fahren. Damit wird mit viel Aufwand oft wenig bis gar kein Ergebnis erzeugt. Das ist aus der Sicht von Ansätzen wie „grünem Testen“ oder aus der Sicht der Wirtschaftlichkeit natürlich eine Katastrophe. Deshalb habe ich mich entschlossen, eine kleine Serie unter der Überschrift „Welche Informationen benötigt ein Dienstleister für die Fahrzeugdauererprobung vor dem Projektstart?“ bzw. kurz „Informationen für den Projektstart in der Fahrzeugdauererprobung“ zu verfassen.
Man kann diese Serie als Zusammenstellung von Fakten zur Projektvorbereitung aus Sicht eines Dienstleisters lesen oder zur Anleitung Aufbereitung eines Lastenheftes für die Vergabe von Projekten zur Fahrzeugdauererprobung (Fahrzeugdauerlauf, Straßendauerlauf, etc.).
Bereits in dieser Reihe veröffentlicht:
- Teil 1: Projektrahmen
- Teil 2: Prüfprogramm
- Teil 3: Dokumentation
- Teil 4: Messdaten
- Teil 4a: Messverkabelung
- Teil 5: Begleitende Maßnahmen
Messdaten
Grundsätzliches vorangestellt
Vielen Mitarbeitern in der Dauererprobung nicht klar, dass Messdaten nicht nur die Daten aus einem klassischen Mess-Logger sind. Natürlich gibt es übliche Messungen, wie zum Beispiel Temperaturen, Drücke, Ströme, Durchflüsse und ähnliches. Mit der Wandlung der Fahrzeuge hin zu rollenden Rechenzentren sind dies aber inzwischen die kleinsten Teile der der Messdaten.
Als Messdaten werden in der Regel Daten bezeichnet, die im Nachgang zur Fehlerlokalisierung oder zur Fehlererklärung heran gezogen werden können. Inzwischen ist der überwiegende Teil der elektronischen Aufzeigen aber Erprobungsergebnisse. Beispiele für diese Erprobungsergebnisse sind Fehlerspeicher- bzw. Steuergeräteauslesungen, die Anzahl von Wartungsmassnahmen im Regelbetrieb (Regenrationen, Diagnosedurchläufe, etc.), Fehler und Fehleranzahlen, Kommunikationsprotokolle und vieles mehr.
Messdaten sind aber auch die Verbräuche, wie Kraftstoff-, Öl- oder Kühlmittelverbrauch sowie Messungen wie Ölstände, Reifenprofiltiefen und Ähnliches. Für all diese Daten gilt das, was für alle anderen Daten auch gilt.
Im Rahmen von Assistenzsystemerprobungen gibt es auch zunehmend Erprobungen, die ausschließlich der Datengewinnung dienen.
Im Erprobungsprozess fehlt es oft an dem Verständnis, gut-Tests bzw. schlecht-Tests in der Erprobung zu identifizieren. Die Daten bleiben nach meiner Erfahrung meistens ungenutzt. Ich selbst werbe seit Jahren im Sinne einer effektiven Erprobung für die Reduzierung von Fahrzeugen und die Verbesserung der Ergebnisgewinnung. Ein Beispiel hierfür ist mein gemeinsamer Vortrag mit Slavko Bevanda und Dr. Martin Beißer unter der Überschrift „Modellbasierte Teststrategie in der Fahrzeugerprobung am Beispiel der car2go“. Leider hat sich in diesem Punkt in den letzten Jahren kaum etwas getan.
Messlogger
Der Bereich Datenaufzeichnung hat in der Fahrzeugdauererprobung leider heute oft noch den Stand, den andere Bereiche vor 15 Jahren verlassen haben. Es ist unglaublich, aber Aufzeichnung erfolgt heute gerade bei spezifischen Projekten immer noch mit klassischen Laptops. Dabei wäre ein Mobiltelefon oft eine bessere Lösung.
Folgende Anforderungen sollten an die Aufzeichnungssystem grundsätzlich gelten:
- automatische Messbereitschaft nach Einschalten
- automatischer Messstart oder Messstart über einen Knopf
- Bedienbarkeit im Fahrbetrieb und im Umfeld vom Fahrbetrieb (Sprachsteuerung oder mindestens Touch-Steuerung)
- Robustheit (insbesondere Stoßfestigkeit und Dauerschwingfestigkeit)
- Klare Signalgebung bei Handlungsbedarf, die die Wahrnehmung des Straßenverkehrs nicht beeinträchtigt (z.B. Sprachausgabe)
- fortlaufende Datensicherung ohne systemseitig notwendigen Messfile-Abschluss
- automatische Beendung der Messung oder Messende über ein einziges Signal (Sprachsteuerung oder Knopf)
- automatische Erzeugung der richtigen Messfile-Namen
- automatische Übertragung der Daten spätestens nach Abschluss der Messung
Bei der Auswahl der Aufzeichnungssysteme ist immer auf die Kompatibilität zu den Folgesystemen zu achten. Grundsätzlich gibt es heute keinen Grund mehr, weshalb man aus vorhandenen Daten nicht die notwendigen Datenformate erzeugen kann. Es macht z.B. keinen Sinn, große Anzahlen von identischen Inka-Experimenten mit einem Inka-Rechner zu messen. Die Inka-Daten müssen sich aus den Messaufschrieben – im Idealfall automatisiert – erzeugen lassen. Umgekehrt müssen sich Inka-Experimente, wenn Inka den das Maß der Dinge für den entsprechenden Typ Erprobung ist, in das Messsytem übertragen lassen.
Was ein Problem einiger konzeptionell älterer Messsystem ist, ist die Unfähigkeit der Dateiformate mit den Big-Data-Systemen zusammen zu arbeiten. Aus Sicht der aktuellen Projekterstellung mag die Frage nach Big-Data-Verträglichkeiten für den klassischen Erprobungsmanager selbst bei einem OEM oder TIER1 noch als nicht relevant erscheinen. Vor dem Hintergrund der Dokumentationspflicht und der Auswertbarkeit oder dem Training für zukünftig anzuwendende KI’s (künstliche Intelligenzen, die in Zukunft einen großen Teil der Auswertungen und Überwachungen übernehmen werden) ist es aber natürlich heute schon wichtig.
Auslesung von Messdaten
Ich beobachte noch heute, dass Daten aus Fahrzeugen mit einem Kabel und einem Computer ausgelesen werden. Für häufige Standard-Auslegungen ist das inakzeptabel. Die Fehlerhäufigkeit nimmt damit zu. Die Daten stehen erst spät zur Verfügung. Die automatische Verarbeitbarkeit wird reduziert.
Natürlich gibt es Datenaufzeichnungen, die eben nicht über mobile Datennetze transferiert werden können. Für Videodaten oder Kommunikationsmitschriebe (z.B. CAN Traces) stehen die Bandbreiten eben nicht zur Verfügung. Für alle überschaubaren Datenmengen sollte gelten, dass die Daten automatisiert vom Logger an einen Zwischenspeicher gesendet werden und diese Daten sofort auf dem Zwischenspeicher plausibilisiert werden. Fehlermeldungen sollten sofort erfolgen. Direkt auf die Fehlermeldung sollte die Abstellmassnahme ergriffen werden. Es ist nichts ärgerlicher als ein Fahrzeug, dass lange in der Erprobung herumfahren und auf Grund von Fehlern unplausible Daten liefern.
Bei dem Handling der Fahrzeuge zur Fehlerabstellung sollte auch das Prinzip gelten, für fahrende Fahrzeug wird die Fehlerkorrektur höher gewichtet, als der Aufbau von neuen Fahrzeugen. Es ist eben wichtiger, alte Fehler abzustellen und damit die Datenmüllproduktion zu beschränken, als neue Datenmüllquellen in den Umlauf zu setzen.
Für die Übertragung favorisiere ich die Übertragung über mobile Datennetze. Die Übertragung über interne W-LAN-Systeme ist sicher besser als die Auslesung per Kabel. Allerdings hat die Übertragung über W-LAN’s die folgenden Nachteile
- Der Dienstleister benötigt eine Einbindung in das Netzwerk des OEM bzw. des TIER1. Diese Einbindung ist aufwendig und teuer.
- Die zeitgleiche Übertragung von Messwerten zu einer Zeit führt zu einer starken Belastung des Netzwerkes während der typischen Schichtwechselzeiten. Damit wird nach meiner Beobachtung die Standzeit der Fahrzeuge unnötig verlängert und die Versuchsfahren werden zu wenig produktiven Tätigkeit oder zum Warten gezwungen. Damit steigen die Kosten für die Erprobung unnötig.
In der Summe ist die Übertragung von Daten mit mobilen Datennetzen flexibler, billiger, schneller und weniger fehleranfällig.
Plausibilisierung der Messergebnisse
Die Erzeugung von Daten ist grundsätzlich fehleranfällig. Häufige Fehler mit ernst zu nehmenden Auswirkungen sind
- Fehler im Aufbau oder im Messplan (Irrtum)
- falsche Messgeräte (Irrtum)
- falsche Kalibrierung (Irrtum oder systematischer Fehler)
- falsche Kanalzuweisung (Irrtum)
- Bewertung der falschen Messreihe (Irrtum)
- defekte Messgeräte
Relativ seltene Fehler sind dagegen die klassischen Fehler
- driftende Sensoren (systematischer Fehler)
- sämtliche zufälligen Fehler
Selten darf aber in diesem Fall nicht heißen unwichtig!
Unterschiedliche Schätzungen von Insidern gehen davon aus, dass je nach Bereich 20-50% aller Messungen auf Grund von elementaren Fehlern und Irrtümern nicht aussagefähig sind. Die Messqualität ist also einer der entscheidenden Schlüssel für einen effektiven und effizienten Fahrversuch.
Dabei spielt die Plausibilisierung der Messung unmittelbar im Zusammenhang mit der Inbetriebnahme eine Schlüsselrolle. Noch vor dem ersten Betrieb sind Werte auf Plausibilität zu prüfen. Dafür müssen geeignete Pausibilisierungsmechanismen geschaffen werden. In der Regel müssen sich z.B. alle Temperaturen im Stand nach einer gewissen Zeit auf Umgebungstemperaturen einstellen. Das Gleiche gilt für viele Drücke. Der Verlauf und die Steuung gleicher Messwerte muss bei gleichem Versuch mit ähnlichen Fahrzeugen ähnlich sein. Allein solche Beobachtungen helfen schon, den größten Blödsinn beim Messen zu reduzieren.
Da die Datenmengen in der Regel in den Projekten sehr groß sind, empfiehlt es sich die Plausibilisierungen zu automatisieren und sofort bei einem Fehler eine automatisiert aktive Benachrichtigung der Personen zu veranlassen, die den Fehler bewerten und abstellen kann.
Was ich mir wünschen würde, sind größere Anstrengungen im Bereich Systematisierung von Messdatenbewertungen. Das sind aber Aufgaben, die entweder OEM, TIER1 oder große Entwicklungsdienstleister übernehmen müssen.
Interessant zum Thema:
Verbrauchsdaten
Neben den Messdaten aus den Messsystemen gibt es natürlich auch die klassischen Verbrauchs- oder Verschleißdaten. Beispiele sind
- Kraftstoffverbrauch
- Ölverbräuche
- Kühlmittelverbräuche
- Leuchtmittelverbräuche, wenn dies relevant ist
- Bremsenverschleiß
- Reifenverschleiß
- Fahrwerkssetzung
- Löse- und Wiederanzugsmomente
Diese Daten sind ebenfalls Messdaten, für die das oben gesagte gilt. Historisch werden diese Daten oft per Hand erfasst. Hier wären natürlich automatisierte Erfassungssysteme sinnvoll. Dabei wird aber oft mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Ich habe dazu Datenerfassungsysteme gesehen, die unendlich komplex und automatisiert waren. Dabei hat es sich bei den Messwerten nur um wenige Messungen gehandelt. Eine manuelle Erfassung ist bei kleinen Datenmengen, die dabei vielleicht auch manuell einfacher gewonnen werden können, durchaus eine Option.
Verarbeitung und Auswertung von Messergebnissen
Werden Messdaten erhoben, müssen diese auch Bestandteil des Reportings werden. Dabei geht es nicht darum die Daten in schönen Diagrammen darzustellen. Es geht darum die Daten zu einem eindeutigen Ergebnis zu verdichten. Dies soll an einem Beispiel deutlich gemacht werden. Ein Fehler korreliert oft mit Messwerten. Dabei haben diese Fehler oft Vorgeschichten, die in den Messwerten erkennbar sind. Tritt der Fehler auf, sollte eben nicht nur der Fehler reportet werden, sondern eben auch die Beobachtung aus den Messwerten, die entstehende Fehler ankündigen. Damit ergeben sich Diagnosemöglichkeiten für den Fehler.
Das setzt natürlich eine umfassende Auswertung der Daten voraus. Mit dem Anschauen von Diagrammen durch einen Praktikanten ist das nicht erledigt. Die Daten müssen ziemlich umfassend korreliert werden. Neue Erkenntnissee bedeuten erneute Analyse der Daten aus anderen Perspektiven. Die Daten müssen also im Zugriff bleiben und immer wieder automatisiert ausgewertet werden.
Für Fragen, Anregungen und Diskussionen steht Ihnen der Autor gerne zur Verfügung.