Seit 2018 gibt Peter Saubert – Ingenieurbüro und Unternehmensberatung jährlich die Studie Arbeitsbedingungen von Versuchsfahrern heraus. Die Studie 2020 erschien erst kurz vor Weihnachten. Ein Grund dafür dürfte auch die Erkenntnis sein, das sich zahlreiche Dienstleister in der Fahrzeugerprobung offensichtlich auf sehr dünnem Eis bewegen. Das ist nicht gut für die gesamte Branche.
Bereits seit 2018 stellte die Studie fest, dass es einzelne Firmen gab, die scheinbar fortlaufend gegen die Arbeitszeitgesetze verstoßen. Der Anteil der Versuchsfahrer, die angaben durchschnittlich über 60 Überstunden im Monat zu leisten stieg von 2% 2018 auf 4% 2019 und sogar 11% 2020.
Was vielen Führungskräften scheinbar gar nicht klar ist: Für Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz und Folgen aus diesen Verstößen haften nicht nur die Firmen sondern auch Führungskräfte privatrechtlich.
Was aber viel dramatischer ist, wird in der Studie wie folgt ausgeführt:
Fast jeder fünfte Versuchsfahrer ist der Meinung, er dürfte „Arbeiten unter Spannung“ durchführen.
Die meisten OEM und TIER1 untersagen das Arbeiten unter Spannung aus gutem Grund. Arbeiten unter Spannung sind zum Beispiel das Arbeiten an der offenen Batterie oder im geschalteten Hochspannungskreis. Dafür sind hochstehende Sicherheitsauflagen zu erfüllen. Die Mitarbeiter müssen dazu zum Beispiel regelmäßig auf die gesundheitliche Eignung untersucht werden. Es kann fast ausgeschlossen werden, dass Versuchsfahrer die Berechtigung zum Arbeiten unter Spannung haben.
Offensichtlich ist der Ausbildungs- und Schulungsstand der Versuchsfahrer weit von einem zu erwartendem Mindeststandard entfernt. Die meisten Mitarbeiter der Dienstleister haben scheinbar keine Idee über die elektrotechnischen Anforderungen an sie. Angesichts von zunehmenden Zahlen an Elektrofahrzeugen ist dies eine für die ganze Branche – aber natürlich besonders für die betroffenen Manager – eine gefährliche Entwicklung.
Vollkommen untypisch für die Studie, wird der grundsätzliche Aufbau einer elektrotechnischen Sicherheitsstruktur erläutert. Diese Struktur müsste eigentlich in jedem Unternehmen umgesetzt sein, das Elektrofahrzeuge testet.
Grundsätzlicher Aufbau der Eignung für das Arbeiten an Elektrofahrzeugen
- keine: Berechtigung zum Führen von Nicht-Elektro-Fahrzeugen
- Elektrotechnisch unterwiesene Person mit Erprobungsberechtigung: Berechtigung zum Führen von elektrotechnischen sicheren Fahrzeugen
- Elektrotechnisch unterwiesene Person mit Werkstattberechtigung: Arbeiten am spannungsfreien Fahrzeug in nicht spannungsführenden Bauteilen
- Elektrofachkraft für HV-Fahrzeuge: An sicheren Fahrzeugen Spannungsfreiheit herstellen und bestätigen sowie an sicheren Fahrzeugen Spannungsfreiheit aufheben und zum Betrieb freigeben
- Arbeiten unter Spannung: Berechtigung zum zum Beispiel Arbeiten an offenen HV-Batterien oder im geschalteten Hochspannungskreis
Die faktische Umsetzung ist vom Unternehmen abhängig und muss im Unternehmen durch die Verantwortliche Elektrofachkraft (vEFK, Person aus dem obersten Leitungslevel) festgelegt und in der Einhaltung überprüft werden. Die Nichteinhaltung ist in vielen Fällen ein Straftat der Geschäftsführung.
Es bleibt für die ganze Branche zu hoffen, dass sich die Ergebnisse aus der Studie „Arbeitsbedingungen von Versuchsfahrern“ als einmaliger Fehler herausstellen und schnell korrigiert werden.
Hier geht es zur Informationsseite der Studie: Arbeitsbedingungen von Versuchsfahrern – Studie 2020