Dieser Artikel erschien 2015 als Whitepaper. Er ist im Original als Download verfügbar unter http://www.peter-saubert.net/downloads/ unter dem Punkt Werkvertragkonforme Aus- und Weiterbildung von Versuchsfahrern.

Problemstellung

Dieses Whitepaper entsteht auf Anregung. Auf Grund der immer strikteren Auslegung der Trennlinien zwischen Dienstverträgen (z.B. Arbeitsvertrag und Arbeitnehmerüberlassung) und Werkverträgen entwickeln sich für die beauftragenden OEM im Bereich Fahrerprobung zunehmend größere Probleme in der Qualitätssteuerung. Ein Problem der Qualitätssteuerung ist die Aus- und Weiterbildung von Versuchsfahrern.

 

Wesentliche Rahmenbedingungen

Die formalen Anforderungen an Versuchsfahrer sind in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen. Allerdings konnte die tatsächliche Qualifikation mit dem Anstieg der Anforderungen nicht mithalten. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe.

  • Auf Grund der inzwischen sehr niedrigen Arbeitslosenraten in Deutschland sinkt das Arbeitskräftepotential für diese Tätigkeit.
  • Die Zyklik der Fahrzeugdauererprobung ist sehr ausgeprägt. Damit nimmt die Attraktivität des Berufs Versuchsfahrer ab. Darüber hinaus hat auf Grund von negativen Pressemeldungen die Attraktivität des Berufes weiter an Wert verloren.
  • Die Möglichkeiten zur direkten Rückmeldung von Erfolgen oder Misserfolgen in der Erprobung an die große Masse der Versuchsfahrer ist durch die strikte Auslegung der Grenzlinie zwischen Dienst- und Werkvertrag de facto nicht mehr möglich.
  • Der Ausbildungsstand der Versuchsfahrer lässt sich durch die strikte Auslegung der Grenzlinie zwischen Dienst- und Werkvertrag nicht mehr prüfen. Damit ergeben sich Schlupflöcher, die genutzt werden.

Ausbildungsunterstützende Maßnahmen der OEM zu Gunsten der bei den Lieferanten arbeitenden Versuchsfahrer sind durch die strikte Auslegung der Grenzlinie zwischen Dienst- und Werkvertrag nicht mehr möglich.

 

Zwischenbemerkung: Mein persönliches Anliegen

Einen Beruf prägt immer auch die Sprache, die dieser Beruf benutzt. Ärzte sprechen eine Mischsprache aus Latein und ihrer Landessprache. Anwälte verwenden juristische Begriffe und juristische Zusammenhänge in der Satzbildung. Durch diese Sprache stellen die Berufsstände eine einheitliche Logik sicher.

Die Fahrzeugdauererprobung hat in den letzten Jahren sukzessiv die Sprache der Medien übernommen. Wenn aber die Ausbildung des Berufsstandes Versuchsfahrer verbessert werden soll, bedarf es einer klaren Sprache der Fahrzeugdauererprobung. Diese Sprache muss schon die Aufgabe deutlich machen und den Berufsstand stärken.

Ein Testfahrer ist jemand, der eben mal durch die Gegend fährt und ein Auto gut oder schlecht findet. Die Auto-Bild und das Marketing der OEM sucht immer mal wieder Testfahrer für neue Autos. Die Auswahl der Personen, die hier testen erfolgt durch das Los.

Ein Versuchs- oder Erprobungsfahrer braucht das Versuchsobjekt bzw. den Versuchsträger nicht gut oder schlecht finden. Er hat eine Reihe von Versuchen bzw. Tests zu absolvieren. Diese hat er mit i.O. oder n.i.O. zu bewerten. Ggf. hat er n.i.O.-Bewertungen noch weiter zu erläutern und die Reproduzierbarkeit sicher zu stellen.

Ein Versuchs- oder Erprobungsfahrer liefert als Ergebnis seines Erprobungsauftrages auch kein Fahrbericht ab, sondern er liefert einen Erprobungsbericht zu seinem Erprobungsauftrag.

Ich denke, wenn wir mehr auf die richtige Sprache achten würden, würde sich das Ausbildungsbildungsniveau der Versuchsfahrer von alleine etwas verbessern. Das Selbstverständnis der Versuchsfahrer würde damit ein höherwertiges und damit zielorientierteres. Und was nicht vergessen werden sollte: Mit einer klaren Berufssprache der Versuchsfahrer steigt auch das Ansehen dieser Berufsgruppe.

 

Lösung der Problemstellung

Grundsätzlich lässt sich das Problem der Aus- und Weiterbildung der Versuchsfahrer nur dadurch lösen, dass man eine externe Dienstleistung nutzt. Diese Dienstleistung besteht aus der Darstellung eines cloudbasiserten Lernsystems mit unterschiedlichen Rechtestrukturen und der Erstellung von allgemeingültigen Schulungen für die Versuchsfahrer durch einen Dienstleister.

Die Prinzipdarstellung findet sich im folgenden Übersichtsbild.

Bild Prinzipdarstellung der Funktion des Mitarbeiter-Qualifikation-System (MiQuS) (Quelle: Fahrversuch Süd)

Prinzipdarstellung der Funktion des Mitarbeiter-Qualifikation-System (MiQuS) (Quelle: Fahrversuch Süd)

Das Bild ist im Wesentlichen identisch zu dem in meiner Präsentation „Qualitätssteuerung in der Fahrzeugdauererprobung – Umgesetzte Lösungen bei der Fahrversuch Süd GmbH“. Das hier erläuterte Modell entspricht de facto dem, das in der Fahrversuch Gruppe umgesetzt war.

Das Schulungssystem ist für alle Versuchsfahrer, Dienstleister und Mitarbeiter des OEM offen, wenn diese einen User-account und ein Passwort haben. Der Zugang ist reglementiert. Der Versuchsfahren sieht nur seine eigenen Schulungen und Auswertungen. Bei den Dienstleistern gibt es Personen, die Auswertungen über alle bei diesem Dienstleister beschäftigen Mitarbeiter machen können. Beim OEM gibt es Personen, die anonymisiert das Qualifikationsniveau bei den Dienstleistern prüfen können.

Das Geschäftsmodell des Dienstleisters basiert auf folgenden Säulen, die kostenpflichtig für den Bezieher der Leistung sind:

  • Bereitstellung von Mitarbeiteraccounts
  • Bereitstellung von Unternehmensaccounts für Dienstleister mit Auswertefunktionen
  • Bereitstellung von Unternehmensaccounts für OEMs mit anonymisierter Auswertefunktion
  • Erstellung von Schulungen für Dienstleister
  • Erstellung und Vertrieb von Schulungen der OEMs über die Plattform an die Dienstleister
  • Schulungen, die der OEM erstellt, kann der OEM über das Schulungssystem vertreiben. Aus dem Verkaufspreis erhält der Betreiber des Schulungssystems eine Provision von z.B. 30%.

Die anonymisierte Prüfung der Qualifikation durch den OEM kann in diesem Modell entfallen, wenn die Dienstleister im Lastenheft verpflichtet werden, im Rahmen eines Reportings die Zahlen anonymisiert regelmäßig offen zu legen.

 

Fazit

Mit dem beschriebenen System kann der OEM die fortlaufende Qualifikation der Versuchsfahrer relativ einfach steuern, da er den Dienstleistern ein einfaches Werkzeug zu Aus- und Weiterbildung mit an die Hand gibt. Da der Betreiber der Schulungsplattform

  • ein eigenständiges Geschäftsmodell auf der Basis des Betriebes des Systems hat
  • der Betreiber Geschäftspartner der einzelnen Beteiligten ist
  • ein abgeschlossenes eigenständiges Werk liefert

gibt es kein System der Weisung. Das System ist werkvertragkonform.

 

Nebeneffekt

Was in den Überlegungen mit berücksichtigt werden sollte, ist das Kostensenkungspotential aus solch einem System. Auch heute schon müssen die Mitarbeiter qualifiziert werden. Das passiert sehr ineffektiv und ineffizient. Die Kostensenkungspotential resultiert aus folgenden Sachverhalten:

  • Effizenzsteigerung bei der Verteilung von Schulungen – Nutznießer: OEM und Dienstleister
  • Effizienzsteigerung bei der Durchführung von Schulungen – Nutznießer: Dienstleister
  • Effektivitäts- und Effizienzsteigerung beim Controlling von Schulungsständen und Wiederholungsschulungen – Nutznießer: OEM und Dienstleister

Weiterhin ist hiermit eine System verfügbar, das Schulungen durchgängig nachweisbar macht. Damit reduziert sich das Haftungsrisiko für Führungskräfte aus der Unterweisungspflicht des OEM und der Dienstleister.

 

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